Terminkorrektur: Vortrag „Jagd in der Stadt Werder“ am 17. April, 19 Uhr
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4. April 2018

„Werder im Nationalsozialismus“ – Hartmut Röhns düstere Einblicke

(A. Klein) Werder. Nur die ältesten Mitglieder und Gäste des Heimatvereins dürften noch einige kindliche Erinnerungen an die „Nazi-Zeit“ haben, vielleicht an ältere Geschwister im Bund Deutscher Mädchen (BDM) oder in der strammen Hitlerjugend (HJ), an unheimlich dröhnende Bomberstaffeln im Anflug auf Berlin und beginnende Lebensmittelknappheit. Und so folgte man beim 2. Werderaner Gespräch des Heimatvereins im Februar im Schützenhaus gespannt dem einschlägigen Vortrag des Historikers Prof. Dr. Hartmut Röhn. Besonders stießen aussagekräftige Originalzitate aus Zeitdokumenten auf großes Interesse. Alles begann schon damit, dass in der im März 1933 gewählten Stadtverordnetenversammlung (SVV) Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) mit 11 von 19 Stimmen die absolute Mehrheit hatte. Kraft dessen wurde schon bald der Plantagen- zum Hitlerplatz und die Eisenbahn- zur Göringstraße. NSDAP- und SS-Mann Bredfeldt avancierte zum 1. Beigeordneten und wurde am 3.11.1933 Bürgermeister. Er setzte für die Entwicklung der Stadt anspruchsvolle „Marksteine“: ein Sportzentrum „für Kultur, Geist und Seele“ sollte entstehen, ein sogenannter Thingplatz für Freilichtaufführungen, eine Stadtrandsiedlung oder ein „Großflugplatz von internationaler Bedeutung“. Die Obstbau- und Fischereistadt Werder sollte zu einer „Stätte nationalsozialistischer Großarbeit“ werden. Der Referent unterlegte den Beginn der Verwirklichung des Marksteine-Programms ausführlich mit Bildmaterial. Doch Bredfeldt hatte sich offenbar übernommen und musste schon Ende 1935 gehen, wegen stark belastender Finanz- und Ausgabenpolitik, wegen Hinwegsetzung über gesetzliche Bestimmungen und wirtschaftliche Grundsätze sowie unsachgemäßer Verwaltungsarbeit. Das alles brachte der Stadt einen Schuldenberg von 1,9 Millionen Reichsmark ein, mehr als das Doppelte des normalen Haushalts.

Also musste ein neuer Bürgermeister her, einer, der laut Obrigkeit die Gewähr bietet, „dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt und arischer Abstammung“ ist. Der neue wird am 2. November 1935 ins Amt eingeführt. Er heißt Georg Mertes, ist seit zwei Jahren NSDAP-Mitglied, wurde in der Stadtverwaltung Brandenburg ausgebildet und fungierte zuletzt als Kurdirektor und Bürgermeister auf der ostfriesischen Insel Borkum. Schon in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit erließ er 50 „Rundverfügungen.“ Gleich zu Beginn betonte er: „Besonders streng werde ich darauf achten, dass die Tätigkeit aller durchdrungen ist von dem Geist nationalsozialistischer Weltanschauung und dem Willen unseres Führers.“ Das Führerprinzip galt seit 1934 übrigens auch auf kommunaler Ebene. Das damalige neue Gemeindeverfassungsgesetz besagte: „In der Verwaltung der Gemeinden wird die ausschließliche Führerverantwortlichkeit durchgeführt.“ Zur Beratung des „Führers“, also des Bürgermeisters, gab es einen Gemeinderat ohne beschließende Stimme. Der wurde auch nicht gewählt, sondern vom Landrat auf Vorschlag der NSDAP ernannt. Zu den Mitgliedern gehörten bedingungslos der „oberste örtliche Leiter der NSDAP“ und der „rangälteste Führer der SA oder SS“.

Doch das Leben in der nationalsozialistischen Blütenstadt bestand nicht nur aus Bewegung auf der Verwaltungsebene. Es gab weiterhin Blütenfeste und einige Marksteine wie Thingplatz, Luftkriegsschule oder Wohnungs- und Straßenbau wurden realisiert. Belastend wirkte, dass zunehmend junge Männer zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Und natürlich hatte es die Pogromnacht 1938 mit entsprechenden Zerstörungen jüdischer Besitztümer auch in Werder gegeben. Von 80 jüdischen Bewohnern wurden 16 deportiert und ermordet. Den meisten anderen gelang unter oft schwierigen Bedingungen die Emigration. Die Judenverfolgung dürfte Mertes Herzenssache gewesen sein. In einem Brief Ende 1939 grüßte er „mit dem Wunsche, dass wir bald den endgültigen Sieg über Juden und englische Meuchelmörder …. erlangen werden.“ Allgemein bekannt war Röhns Publikum, dass der Führer Adolf Hitler zum Ehrenbürger der Stadt gekürt worden war. So gratulierte ihm Mertes dann auch 1940 zum Geburtstag mit den Worten: „In Liebe und Verehrung (grüßt Sie) die Bevölkerung der Stadt Werder (Havel). Heil mein Führer!“ Als Mertes 1943 für zwei Jahre nach Luckenwalde abkommandiert wurde, übernahm ein Urwerderaner, der 1. Beigeordnete Hans Kassin, die Amtsführung, überließ aber im Großen und Ganzen das Tagesgeschäft seinen Sachbearbeitern. Zahlreiche Besucher des „Werderaner Gesprächs“, die dem Referenten Hartmut Röhn viel Beifall spendeten, erinnerten sich noch an weiße Fahnen aus den Fenstern der Bewohner zu Kriegsende 1945. Werder hatte den verheerenden Zweiten Weltkrieg relativ glimpflich überstanden.

Foto: Stolpersteine vor dem Café Jacob, verlegt im Oktober 2014. (Foto: Ungerath)

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